Qualifizierungs- und Weiterbildungsoffensive für Filialleiter

Michael Huber, Bereichsleiter Recruiting und Personalentwicklung, Lidl Personaldienstleistung GmbH & Co. KG

Interview mit Michael Huber, Bereichsleiter Recruiting und Personalentwicklung Lidl

Obermann Consulting (OC): Herr Huber, Lidl hat die vielleicht größte Qualifizierungsoffensive organisiert, die je in Deutschland durchgeführt wurde. Was war hier der Anlass?

Herr Huber: Die Anforderungen an die Leiter unserer mehr als 3.000 Filialen allein in Deutschland sind laufend gestiegen. Wir haben daher „Entwicklungstage“ durchgeführt, in dessen Rahmen die Filialleiter eine umfassende und individuelle Rückmeldung zu Management und Führungskompetenzen erhielten. Das Ergebnis ist die Grundlage für individuelle Weiterbildungsmaßnahmen.

OC: Eine Qualifizierungsoffensive mit mehr als 3000 Teilnehmern – wie ist das zu bewältigen?

Herr Huber: Wir haben innerhalb von neun Wochen fast alle unsere Filialleiter im Rahmen der Entwicklungstage beobachtet und Entwicklungsmaßnahmen individuell abgeleitet. Dazu gab es eine lange Vorlaufzeit der Planung, wir haben u.a. die lokalen Personalleiter unserer 38 Regionalgesellschaften als Beobachter und Moderatoren systematisch vorbereitet. Neben klassischen Aufgabentypen wie Interview und Analyseaufgaben waren ein methodisches Kernelement des Entwicklungstages die SJT – Situational Judgment Tests.

OC: Wie ganz konkret sieht bei Ihnen eine Beispielsituation im SJT aus, die Sie im Entwicklungstag eingesetzt haben?

Herr Huber: Die SJT sind Videosequenzen mit Herausforderungen aus dem Alltag eines Filialleiters. Eine Sequenz zeigt beispielweise einen Kunden in der Filiale, der einen Artikel sucht und nicht finden kann. Er wendet sich an den Filialleiter, der in mittelbarer Nähe steht. Im Anschluss an jede gezeigte Videosequenz wird dem Teilnehmer eine standardisierte Frage gestellt. Die Beobachter haben eine Art Musterlösung vorliegen und stufen die Antwort des Teilnehmers entsprechend ein. Durch diesen Abgleich der Antworten mit der Musterlösung zu 24 verschiedenen Führungsherausforderungen, erhalten wir eine objektive Einschätzung zu den Stärken und Entwicklungsfeldern der Teilnehmer bezogen auf das tägliche Erleben des operativen Geschäfts auf der Fläche.

OC: Welcher Mehrwert ist Ihrer Meinung nach mit dieser Methode verbunden?

Herr Huber: Den größten Mehrwert sehen wir grundsätzlich in der hohen Standardisierung und der hohen Durchführungsobjektivität. Diese beiden Kriterien sind für uns besonders wichtig, da die Entwicklungstage dezentral in den Regionalgesellschaften durchgeführt wurden. Das heißt, es waren sehr viele Moderatoren und Beobachter beteiligt.

OC: Wie hoch war die Akzeptanz dieser Methode bei den Teilnehmern?

Herr Huber: Die Akzeptanz war sehr hoch. Die Teilnehmer mussten teilweise bei der Betrachtung der Videos schmunzeln und häufig haben wir Äußerungen gehört wie: „Genau diese Situation hatte ich erst letzte Woche mit einem Kunden.“

Auch bei den Beobachtern, über alle Hierarchiestufen hinweg, ist die Akzeptanz der Übung hoch. Einerseits ebenfalls durch die realistischen Situationen und andererseits durch die Fairness der gleichen Behandlung der Teilnehmer, bedingt durch die Standardisierung der Übungen und durch die objektive Auswertungssystematik. Für uns war es auch wichtig, die teilnehmenden wichtigen und erfahrenen Führungskräfte nicht nur vor einen Computer zu setzen: Jede Szene wurde im Rahmen eines Dialogs ausgewertet.

OC: Sehen Sie gegenüber anderen Übungen Nachteile in der Durchführung?

Herr Huber: Bei einer Durchführung im großen Stil ist das notwendige technische Equipment nicht zu vernachlässigen. Eine einwandfreie Bild- und Tonqualität muss gewährleistet sein. Wir haben die Videos mit einem professionellen Team in der realen Arbeitsumgebung der Teilnehmer gedreht.

OC: Was muss ein Unternehmen bedenken, wenn es sich für den Einsatz von SJT entscheidet?

Herr Huber: Der Einsatz von SJT ist zwar ökonomisch in der Durchführung, in der Konzeption jedoch aufwändig und kostenintensiv. Wenn man sehr kurzfristig eine Übung auf die Beine stellen muss, dann ist die SJT-Übung nicht die richtige Methode. In der Konzeptionsphase heißt es, sich Zeit zu nehmen und auch kleinste Details von Anfang an mit zu bedenken: Was zeigt die Kamera, was genau wird wie gesagt. Denn was einmal gefilmt ist, lässt sich nur mit größerem Aufwand wieder verändern. Heißt, der Aufwand in der Erstellung und Vertestung sollte von Unternehmen nicht unterschätzt werden.

OC: Welchen Unternehmen würden Sie den Einsatz empfehlen? Für welche Zielgruppen?

Herr Huber: Generell ist der Einsatz für jedes Unternehmen und jegliche Zielgruppe gut geeignet. Es muss sichergestellt sein, dass jede Zielgruppe ihren individuellen Alltag in den SJT abgebildet bekommt. Das heißt mit kleinen Anpassungen von einer Zielgruppe auf die nächste ist es nicht getan, sondern für jede Personengruppe müssen die SJT individuell entwickelt werden.

OC: Herr Huber, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview wurde geführt von Silke Kromrei, verantwortliche Beraterin bei Obermann Consulting für das Lidl-Projekt.

Silke Kromrei, Senior Consultant, Obermann Consulting GmbH
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