Artikel in der Süddeutschen Zeitung: Schwätzer in ACs bevorzugt?

Mit einem Reißer-Titel wartet die Süddeutsche Zeitung zum Thema Assessment-Center auf. Namhafte Vertreter der AC-Szene wie Heinz Schuler oder Christof Obermann werden wie üblich verkürzt zitiert: ,,Es werden narzisstische Persönlichkeiten ausgesucht, Menschen mit hohem Selbstvertrauen, die andere für sich einnehmen, geschliffen formulieren können und eine hohe Risikobereitschaft haben, die weit über ihre eigenen Fähigkeiten und die ihrer Umgebung hinausreicht“. Welche Rolle spielt die Selbstdarstellungsfähigkeit bei der Beurteilung von AC-Kandidaten wirklich?

einzel-ac_fallstudieSelbstdarsteller schneiden im AC besser ab

In der AC-Forschung beschäftigt man sich damit, inwieweit es Teilnehmern gelingt, intuitiv die erwünschten Anforderungen zu „zeigen“. Die Studien zeigen, dass Teilnehmer in AC, welche die jeweiligen Anforderungen der AC-Übungen von sich aus erkennen können, im Gesamtergebnis besser abschneiden (Kleinmann 1993, 1997). Diese Fähigkeit variierte dabei nicht von Übung zu Übung, sondern blieb situationsübergreifend stabil. Daher handelt es sich um eine zwischen Personen differenzierende Eigenschaft, die jeweiligen Erwartungen intuitiv zu spüren und sich so erfolgreich darstellen zu können. Diese Fähigkeit korreliert jedoch nicht mit Intelligenz und ist auch unabhängig von anderen Persönlichkeitsfaktoren (Preckel & Schüpbach 2005). Damit spielt die Fähigkeit zur passenden Selbstdarstellung tatsächlich eine Rolle im AC.

Taktiker verdienen mehr und steigen schneller auf

Auch außerhalb des ACs, im realen Berufsleben, scheint es auf die Selbstdarstellung anzukommen. In der verhaltenswissenschaftlichen Studie von Mayerhofer et al. (2005) wurden rund 1000 Absolventen österreichischer Wirtschaftsstudiengänge befragt. Dabei wurde das jeweilige taktische Grundmuster der Personen mit dem jeweiligem Karriereerfolg in Zusammenhang gesetzt: Dabei realisieren die als „Beziehungsarbeiter“ und „Selbstinszenierer“ klassifizierten Teilnehmer der Studien innerhalb der ersten zehn Berufsjahre einen durchschnittlichen Einkommenszuwachs von 4.960 € . Solche, die diese Taktiken nicht anwenden, erzielten lediglich 3.540 € Zuwachs. Gleichzeitig führt die Gruppe der „Selbstinszenierer“ im Durchschnitt der ersten zehn Berufsjahre 6,4 unterstellte Mitarbeiter, die der Nicht-Taktierer lediglich 2,7 Mitarbeiter.

Mindestes zehn Aufgabenelemente im Assessment-Centerobc_grafik_ac-selbstdarstellung

Das Fazit ist, dass in AC-Verfahren die Selbstdarsteller tatsächlich einen Vorsprung haben und dies zum Teil auch mit Recht, weil ihre Fähigkeiten im „wirklichen“ Leben auch relevant sind. Fehlaussagen kommen jedoch zu Stande, wenn durch zu wenig und zu kurze Übungen der Bonanza-Effekt greift: „Wer schnell auf das Pferd aufspringt und wieder absteigt, der hat gewonnen“. Wer aus wirtschaftlichem Druck Forderungen nachgibt, zehn Bewerber an einem Tag zu verarzten, der betreibt eine falsche Personalauswahl mit kostenreichen Folgen. Ein Assessment-Center macht nur Sinn, wenn eine Vielfalt von Aufgaben beinhaltet ist. Die aktuelle deutsche Metaanalyse zur Validität von ACs zeigt, dass erst bei mindestens zehn Testelementen die Validität deutlich steigt. Das müssen nicht immer lange Fallstudien sein, eben auch Interviewelemente, Tests und Fragebögen. Nur so kann dem oberflächlichen Zufallseindruck begegnet werden. Neben der Selbstdarstellung sind es eben andere Kriterien, die sich als wichtig für die Vorhersage von Berufserfolg erwiesen haben. Dazu gehören zum Beispiel die Eigenmotivation und das Komplexitätsverständnis; beide seit langem nachgewiesene Voraussetzungen für die berufliche Karriere werden jedoch meistens in den bunt bebilderten Kompetenzmodellen in der HR-Praxis ignoriert.

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