Geschichte des Assessment-Centers – Wie alles begann

Die tatsächlichen Vorläufer des heutigen AC stammen aus der Zeit der Reichswehr (1926/1927). Eng verbunden mit der Entwicklung des AC-Gedankens sind die beiden Deutschen Rieffert und Simoneit, die in der Heerespsychologie arbeiteten, genauer in der Verbesserung der Auswahlmethoden für Offiziersanwärter. Riefferts und Simoneits erklärtes Anliegen war es, im Rahmen ihrer Tätigkeit „praktische Menschenkenntnis“ zu objektivieren und dabei den Menschen als Ganzheit zu betrachten. Diese Position des „charakterologischen“ Ansatzes fasste Simoneit 1933 folgendermaßen zusammen: „Erst die Lagerung der isoliert gedachten seelischen Fähigkeiten innerhalb der seelischen Gesamtveranlagung lässt Schlüsse auf zukünftige Verhaltensweisen zu“. Simoneit (Highhouse 2002, S. 44) beschrieb schon früh die grundlegenden Prinzipien wissenschaftlicher Auswahlverfahren, die in vielen Aspekten denen moderner AC entsprechen, so z. B. den „Aufbau eines innerlich zusammenhängenden und immer auf die Erfassung der Totalität des Prüflings gerichteten Systems von Prüfstationen“ oder „die Beteiligung mehrerer, zum Teil unabhängig voneinander wirkender Prüfer“.

Aufgaben mit hoher Ähnlichkeit zum heutigen AC

Bereits 1927 wurde die Teilnahme an dieser ersten Form eines AC zwingend für alle Offiziersanwärter vorgeschrieben. Simoneit zählte die folgenden Methoden auf, die im Rahmen des Auswahlverfahrens der Wehrmacht zum Einsatz kamen (vgl. Simoneit 1933, S. 46 ff.). Dies ähnelt in seiner Vielfalt sehr einem heutigen multimodalen AC:

  • Lebenslaufanalyse: Reaktion der (jugendlichen) Offiziersbewerber auf biografische Ereignisse
  • Geistesanalyse: Intelligenzprüfung durch Rechenaufgaben, Tests und Aufsätze
  • Handlungsanalyse: Messung der Stärke des Willens und der inneren Kraft
  • Führerprobe: Rollen-Übung, Aufgaben mit fremden Soldaten lösen
  • Ausdrucksanalyse: Analyse der Mimik und der Sprechform
  • Schlusskolloquium: heutige Gruppendiskussion, Verhalten der Prüflinge zueinander

Offenbar kam es den Prüfern auch auf die atmosphärische Qualität an: „Die Prüfer schaffen am Schluss noch einmal Harmonie und geben den Kandidaten das Bewusstsein, dass sie etwas Einzigartiges und Großes erlebt haben“ (Simoneit 1933, S. 57). Der Ablauf eines Auswahlverfahrens der Wehrmacht gestaltete sich so, dass zwei Prüfungsgruppen mit je vier Teilnehmern über drei Tage von Beobachtern beurteilt wurden. „Das Auswahlgremium bestand aus ständigen Mitgliedern der Prüfstelle, dem Prüfstellen-Kommandeur als Vorsitzenden, mehreren Psychologen, zwei aus der Truppe dazu kommandierten Offizieren sowie einem Sanitätsoffizier (Psychiater).“ (Domsch und Jochum 1989, S. 5). Das Prinzip der Mehrfachbeobachtung galt also schon damals. Das abschließende Ergebnis wurde – wie auch heute üblich – im Rahmen einer Beurteilerkonferenz gebildet. In der Hochphase 1936 wurden etwa 40.000 Kandidaten in 15 Zentren der Heerespsychologie begutachtet.

Assessment-Aufgabe in den 1920er Jahren

Das AC als Grund der Abschaffung der Wehrmachtspsychologie

Im Jahr 1942 kam es zur Abschaffung der deutschen Wehrmachtspsychologie. Es wird vermutet, dass dies damit zusammenhing, dass die Söhne vieler prominenter Nationalsozialisten durch die deutsche Wehrmachtspsychologie als untauglich für die Offizierslaufbahn befunden wurden. Dazu gehörten u. a. der Neffe von Hermann Göring und der Sohn des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel (Flik in seiner Geschichte der Wehrmachtspsychologie 1998, S. 89 f.). Flik, der die Gutachten überprüfte sowie Obergutachten anfertigte, bestätigte deren nur bedingte Eignung für die Offizierslaufbahn. Er schrieb dazu: „Wenige Wochen nach diesen Beurteilungen des Neffen des obersten Führers der Luftwaffe sowie des Sohnes des obersten Führers des Heeres wurde die Luftwaffen-und Heerespsychologie aufgelöst“ (Flik 1998, S. 90 f.). In der Marine wurde das Auswahlverfahren auch nach 1942 weiter eingesetzt. Simoneit war nach dem Krieg Mitgründer und zweiter Vorsitzender des BDP, des Berufsverbandes Deutscher Psychologen. Zuletzt leitete er in Köln ein privates psychologisches Institut, konnte jedoch beruflich keine einflussreiche Rolle mehr spielen. Auch Rieffert überlebte den Krieg.

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