Interview: Ansgar Sassen zur eignungsdiagnostischen Umsetzung von Laufbahnmodellen
Ansgar Sassen, Managing Consultant bei Obermann Consulting, leitet das Projekt für einen großen Versicherer, der seine Potenzialanalysen nach dem neuen Laufbahnmodell auf unterschiedliche Karrierepfade ausgerichtet hat. Wir haben mit ihm über die Relevanz von Laufbahnmodellen in der aktuellen Arbeitswelt und seine persönlichen Erfahrungen in diesem Projekt gesprochen.
Ansgar, welche Vorteile bietet aus Deiner Sicht ein Laufbahnmodell mit unterschiedlichen Karrierewegen für das Unternehmen?
Für Unternehmen ist es heutzutage sehr wichtig, die Durchlässigkeit verschiedener Karrierewege zu gewährleisten, um gute Mitarbeiter/innen zu halten. Ein wichtiger Vorteil ist hier sicherlich, dass die Karriere in einem Unternehmen nicht nur über die Führungslaufbahn abgebildet wird, da fundierte Kenntnisse in bestimmten Bereichen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Auch das Thema Arbeitgeber-Attraktivität ist elementar wichtig. Um diese zu verbessern, muss man seinen Mitarbeiter/innen Alternativen zur klassischen Führungslaufbahn bieten können. In der aktuellen Umgebung vieler Organisationen, Stichwort VUCA-Welt, ist eine gut und divers aufgestellte Mannschaft von Vorteil. Am Ende bedeutet eine breitere Kompetenz in der Belegschaft auch, schneller und agiler handeln zu können. Grundlage ist dabei die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Pfade im Unternehmen – auch in Bezahlung, Weiterbildungsangeboten, etc.
Schauen wir auf die Eignungsdiagnostik: Was sind für Dich die Herausforderungen in der Diagnostik außerhalb der Führungslaufbahn?
Ich erinnere mich, vor vielen Jahren wurde Teilnehmer/innen mit schlechtem Abschneiden im Führungs-AC einfach eine Fachlaufbahn empfohlen. Das hatte sich dann schnell herumgesprochen, dass das der Code für schlechtes Abschneiden war.
Das geht heute nicht mehr. Die Frage ist, was ist die passende Diagnostik, um zwischen einer / einem normalen Referenten/in und einem / einer Expertin zu unterscheiden, die es verdient, analog zu Gruppen- oder Abteilungsleitungen ein Level hochzusteigen. Dazu haben wir Antworten gefunden, die dann in die Diagnostik umgesetzt wurden. Ein Beispiel wäre etwa, dass diese Experten ihre Fachlichkeit kontinuierlich weiterentwickeln und den Nutzen im Rahmen eines Business Cases explizieren können.
Am Ende gelingt es, die knappe Zielgruppe von IT-Experten, Software-Entwicklern, Produktdesignern und vieles mehr durch die Wertschätzung von Feedback und ein spezielles Karrieremodell außerhalb der Führung bei der Stange zu halten.
Was macht das Projekt für Dich besonders spannend?
Es ist immer spannend zu sehen, wie solch ein Instrument in der Organisation etabliert wird, gerade weil es in gewisser Weise einen Kulturwechsel darstellt. Aus diagnostischer Sicht war und ist es besonders spannend, gleiche Schwierigkeitsgrade in den unterschiedlichen Karrierewegen abzubilden, schließlich werden die Positionen alle auf dem gleichen Level eingruppiert. Dies ist von der Gleichwertigkeit der Karrierepfade her gedacht eine zwingende Voraussetzung, damit die Etablierung des Laufbahnmodells im Unternehmen auch funktioniert. Aber auch zwischen den Leveln sind die Unterschiede immens: Während auf den unteren Ebenen spezifischer gearbeitet wird, ist auf den höheren Ebenen die generelle Gestaltung wichtiger.
Welche Highlights sind Dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ich habe als Moderator für die ACs der Fachlaufbahn viel Beeindruckendes erlebt: Präsentationen zu wirklichen Produktinnovationen, Podcasts oder Vorschläge für spannende Apps, teilweise bis ins Detail erarbeitet. Hier haben viele Teilnehmer/innen über besonderes Fachwissen und die Hands-On Mentalität geglänzt. Man konnte sich die Umsetzung direkt vorstellen. Gerade in einer Experten-Funktion ist es ja wichtig, Leute von seinem Thema begeistern zu können, das gelingt vielen Teilnehmer/innen sehr gut, weil sie einfach selbst für ihr Thema brennen. Viele davon wären in klassischen Führungs-ACs mit den üblichen Kritik-Rollenspielen in einer virtuellen Fachumgebung untergegangen und das Potenzial für das Unternehmen übersehen worden. Das hat uns bestärkt in dem Ansatz der AC für die Expertenlaufbahn – mittlerweile sind dort 40% der Teilnehmer/innen.
Was wäre ein Take away für die Potenzialanalysen der Führungslaufbahn?
Das sind in dem Unternehmen, je nachdem wie man es sieht, nur noch 40% der Potenzialanalysen. Der Rest ist die Zielgruppe Projektleiter und Expertenlaufbahn.
Bei der Führungslaufbahn organisieren wir Potenzialanalysen für die erste, zweite und dritte Ebene.
Für die Einstiegsebene in Führung gab es in der Vergangenheit viele „Durchfaller“ aufgrund mangelnder Erfahrung in den klassischen Rollenspielen. Das haben wir umgestellt auf eine Lernpotenzialanalyse, also Führungssimulation, Zwischenfeedback und nochmals Führungssimulation.
In den Führungs-Potenzialanalysen erinnere ich mich besonders an eine Teilnehmerin, die das Zwischenfeedback, welches wir geben, direkt umgesetzt und sich in kurzer Zeit enorm verbessert hat. Die zweite Verhaltenssimulation war um Welten besser, und das nur aufgrund eines kurzen Zwischenfeedbacks. Hätte sie nur die erste Chance gehabt, wäre sie komplett falsch mit „kein Potenzial“ zurückgestellt worden.
Was hast Du aus diesem Projekt gelernt / mitgenommen?
Durch die Pandemie war auch die Verzahnung von Online- vs. Live-Durchführung eine Herausforderung, die wir ohne viel Datenverlust meistern konnten. Die Verbesserung der virtuellen Kompetenzen, sowohl bei Teilnehmer/innen als auch bei Beobachter/innen, war deutlich zu spüren.
Gerade in diesem Projekt war der Prozessmusterwechsel in der Diagnostik besonders spannend: mit Einführung der neuen Potenzialanalyse kam viel frischer Wind in die Organisation selbst, der Nährboden für Veränderung war hier vorhanden. Nicht zuletzt der Einsatz unterschiedlicher Beobachter/innen, auch als Multiplikator/innen, hat zu einer positiven Reputation des Verfahrens beigetragen.
Vielen Dank für das Gespräch, Ansgar!
Ansgar Sassen ist Diplom-Psychologe mit den Schwerpunkten Wirtschaftspsychologie sowie Prävention, Beratung & Training und verfügt über diverse Ausbildungen als systemischer Coach, Team- und Organisationsentwickler sowie zahlreiche Zertifizierungen in der Managementdiagnostik.
Er war zuletzt über 11 Jahre in verschiedenen HR-Funktionen in der Bankenbranche tätig. Seit 2017 ist er nun wieder bei Obermann Consulting aktiv mit den inhaltlichen Fokusthemen Personal- & Managementdiagnostik, Talent & Performance Management, Organisationsentwicklung / Change Management sowie Management & Leadership Development.