Kontroverse auf dem 32. Internationalen AC Kongress 05.-08.10.2004
Ein Highlight des AC Kongresses war definitiv ein Streitgespräch zwischen den beiden Top-Persönlichkeitspsychologen und Professoren Kevin Murphy (u.a. Herausgeber des Journal of Applied Psychology) – eher kritisch eingestellt zum Nutzen des Tests im AC – sowie Robert Hogan (u.a. Autor des Handbook of Personality Psychology) – klar positive Position zum Testeinsatz.
Persönlichkeitstest in den USA – in der Kritik wie bei uns
Persönlichkeitstests in US AC´s stehen ähnlich wie in Deutschland unter Kritik, werden im Ergebnis jedoch häufiger eingesetzt. Allerdings dürften die Deutschen diejenigen auf der Welt sein, die maximal skeptisch sind, vielleicht wie bei anderen Themen auch. Erst in diesem Jahr ist im deutschen Arbeitskreis AC e.V. das Verbot gegen den Testeinsatz im AC gefallen. In den USA sind die vier am meisten angewendeten Tests der MBTI, Rohrschach, TAT und der MMPI – nach Prof. Hogan konnte keiner dieser Tests auch nur im Ansatz nachweisen, irgendeine Prognose- Qualität für Führung und Wirtschaft zu haben. Die Verkäufer verweisen darauf, dass dies nicht ihre Aufgabe sei – dabei wird gerade der MBTI auch in Deutschland gerne eingesetzt und stellt weltweit das führende Instrument dar. Generell seien viele schlechte Tests auf dem Markt, deren Nutzen nie bewiesen wurde.
In den 60er Jahren gab es einen Trend gegen Tests wegen des Vorwurfs der Manipulierbarkeit durch die Teilnehmer (soziale Erwünschtheit). In den 70er Jahren war der Trend, dass es mehr auf situative Faktoren ankomme. In den 90er Jahren gab es in den USA dann ein Comeback der Tests. Dabei interessieren sich zu wenige Testautoren für die Validitäten zu externen jobbezogenen Kriterien. Nach Prof. Murphy hat sich seit den 60er Jahren an den empirischen Validitäten zur Jobperformance nicht viel verbessert: „In den 90 er Jahren waren die Validitäten immer noch ziemlich gering – nichts hat sich wesentlich im Vergleich zu den 60er Jahren verändert – außer unsere Erwartungen“ (Zitat Prof. Murphy auf dem internationalen AC-Kongress in Las Vegas, 2004).
*Prof. Murphy zu Tests: „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs“
Der Hauptgrund läge in fehlenden Theorien zur Passung von Persönlichkeit und Job – welche Dimensionen braucht es in welchen Jobs? Diese Frage ist nicht trivial – so sei bei Personen mit einer hohen Ausprägung von „disagreable“ (sozial unangepaßt) die Jobperformance schlecht – bei solchen mit einer geringen Ausprägung jedoch ebenso. Auch bekäme er für den Faktor Integrität eine hohe Nachfrage – die Skandale um Enron und Andersen lassen grüssen. Aber vom Konzept ist dieser Faktor immer noch völlig unklar. So braucht es eine Theorie, die situationale Konstrukte aus dem AC mit Persönlichkeitskonstrukten verbindet:
In welchen Arbeitsgebieten sind welche Persönlichkeitsdimensionen relevant? Was können sinnvolle Entscheidungsregeln sein (z.B. cut-off-Kriterien, Ranglisten)? Eine weitere Herausforderung ist, dass die unterschiedlichen Persönlichkeitstests und -faktoren nicht miteinander korrelieren – theoriegemäß. Bei kognitiven Verfahren ist es einfacher, hier gibt es Interkorrelationen zwischen allen Tests: „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs im Bereich der kognitiven Testverfahren“ (Prof. Murphy).
Ein Kritikpunkt im Umgang mit Tests sei auch die Verwechslung von Traits oder Persönlichkeitsdimensionen mit Persönlichkeit. Der Boxer Mike Tyson ist aggressiv. In Testsprache: Er hat auf dem Trait Aggression eine hohe Ladung – aber warum ist das so? So verführt der Umgang mit den Persönlichkeitsverfahren dazu, Hintergrund Know How vorzugeben, dabei bewegen wir uns auf einer rein deskriptiven Ebene und leben davon, dass Nicht-Psychologen ein Mehr in uns hineinprojezieren.
Ein Fortschritt liegt immerhin darin, dass es eine Taxonomie für „Traitwords“, beschreibende Persönlichkeitsdimensionen gibt. Diese liegt spätestens mit den „Big Five“ vor: Extraversion, Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Soziabilität.
Validitäten von Persönlichkeitstests liegen vor
Prof. Hogan hält klar gegen diese kritische Sichtweise. Unsere Erwartungen an empirische Validitäten sind tatsächlich zu hoch – wie Abb. 1 zeigt. Andererseits zeigen die Metaanalysen zu den Persönlichkeitsverfahren im Rahmen der Big Five ganz klare und stabile Zusammenhänge zu Aufstieg im Job und Führung.
Einwand der Testmanipulation vom Tisch
Der Einwand der Manipulation durch die Kandidaten ist jedoch nach Prof. Hogan vom Tisch: Jeder schummelt bei einzelnen Antworten oder auch Tendenzen, niemand kann jedoch ein Profil – also die relativen Unterschiede zwischen einzelnen Dimensionen – gezielt manipulieren. Die Person kennt ja nicht die Normen, aus denen die Antworten zu Profilwerten verrechnet werden. Prof. Hogan hält weiter gegen: Was ist mit dem Schummeln im Interview? Dies geschieht dort genauso – wer sich nicht tendenziell günstig darstellt oder gar mit seiner Offenheit alle vor den Kopf stößt, der hat ein Problem.
AC – was tut jemand. Tests – warum tut er / sie es?
Im Assessment Center sehen wir, was jemand in bestimmten Situationen tut. Mit dem Persönlichkeitstest sehen wir, warum jemand dies tut. Beispiel: Ein Teilnehmer schneidet in der klassischen Dimension Organisation und Planung schlecht ab. Der Faktorwert in Genauigkeit sagt uns, ob dies an dieser grundsätzlichen Veranlagung liegt – da macht Training keinen Sinn! Dann kann der Teilnehmer in diesem Feld eben wenig tun und soll sich mit Kollegen so organisieren, dass diese Schwäche kompensiert wird. Wenn der Faktorwert in Gewissenhaftigkeit hingegen hoch liegt, dann kann mit Training und Methodenwissen geholfen werden. Weiteres Beispiel: Im Postkorb oder in der Rollenübung erscheint jemand als wenig initiativ. Woran liegt es, an dem grundsätzlichen Ehrgeiz, geringem Selbstbewußtsein, geringer Offenheit? Ein AC ohne diesen Hintergrund zu dem beobachtbaren Verhalten wäre offensichtlich ärmer. Dies setzt allerdings voraus, dass wir Hypothesen zu positiven oder schlechten Ergebnissen in Übungen vorbereiten, die dann mit den Ergebnissen aus den Fragebögen getestet werden können.