Freie Interviews werden häufig eingesetzt – führen aber zu wenig treffsicheren Besetzungsentscheidungen
In vielen Unternehmen werden bei Besetzungsentscheidungen insbesondere freie Interviews eingesetzt. Kennzeichen eines freien Interviews („Vorstellungsgespräche“, „Bewerbergespräche“) sind i. d. R. eine geringe Vorbereitung, keine vorgegebene Struktur, der Einsatz unterschiedlicher Fragen die sich aus dem Gesprächsverlauf ergeben, sowie keine systematische Dokumentation der Antworten der Bewerber. Das Risiko besteht hier darin, dass die Durchführung nicht standardisiert und objektiv ist und am Ende die Ergebnisse der Interviews wenig vergleichbar sind, da in jedem Interview unterschiedliche Aspekte hinterfragt wurden. Vorteile eines freien Interviews liegen zum einem in der zeitlich ökonomischen Durchführung sowie einer meist hohen Akzeptanz auf Bewerberseite. Nachteile liegen in einer geringen Aussagekraft der Ergebnisse – die Validität eines freien Interviews wurde z. B. in einer Metaanalyse bei r = 0.14 angegeben. Die Verwendung eines teilstrukturierten Interviews statt eines freien Interviews brächte eine substanzielle Verbesserung der Vorhersagefähigkeit (von r = 0.14 auf r = 0.33) mit sich.
Insbesondere Persönlichkeitskompetenzen sind für Führungskräfte häufig schwer einzuschätzen
Die wesentliche Struktur eines Bewerbungsgesprächs ist in vielen Organisationen vergleichbar: Einführung, Fragen zum Lebenslauf, Fragen zur Überprüfung der fachlichen Qualifikation, Fragen zur Persönlichkeit/Arbeitsweise, Vorstellung des Unternehmens, Austausch über weitere Aspekte wie Kündigungsfristen/Verdienst/Urlaub, Fragen des Bewerbers, weitere Vorgehensweise, Verabschiedung. Insbesondere bei der systematischen Überprüfung der Persönlichkeitskompetenzen haben die Führungskräfte oft Trainingsbedarf. Häufig wird die Einschätzung hier eher anhand des Bauchgefühls getroffen. Ist der Bewerber sympathisch? Stimmt die Chemie? Habe ich das Gefühl, dass er in mein Team passt? Eine systematische Überprüfung von denjenigen Persönlichkeitskompetenzen, die für die Position erfolgsrelevant sind, findet jedoch nur selten statt. Eine Falle sind auch Meinungsfragen, z. B. was der Bewerber von der Branche, vom Vertrieb oder von Reisetätigkeiten hält. Der nicht auf den Kopf gefallene Bewerber wird hier erzählen, was der Gesprächspartner gerne hören will, und es endet wiederum in einem Sympathietest.
Biographische und situative Fragen zur Überprüfung von Verhalten
Eine klare und vergleichbare Struktur im Interview ist nur der erste Schritt bei der Optimierung von Interviews. Die Güte des Interviews wird insbesondere von der Qualität der eingesetzten Fragen bestimmt. Dazu gibt es letztlich nur zwei Frageformen im Interview, die sich als valide erwiesen haben. Da das vergangene Verhalten der beste Prädiktor für zukünftiges Verhalten ist, muss es im Interview das Ziel sein, mit den Fragen Aussagen über das in der Vergangenheit gezeigte oder über das als wünschenswert angesehene Verhalten zu erhalten. Fragen, die sich in die Vergangenheit – in die Biographie des Bewerbers – richten, nennt man dabei biographische Fragen. Eine biographische Frage in Bezug auf Konfliktfähigkeit könnte z. B. „Bitte beschreiben Sie uns ein Beispiel, indem Sie in der Vergangenheit einen beruflichen Konflikt gelöst haben“ lauten. Situative Fragen skizzieren dagegen eine typische erfolgskritische Situation, und der Bewerber wird gebeten, zu beschreiben, wie er sich in dieser Situation verhalten würde. Situative Fragen beginnen meist mit: „Stellen Sie sich vor, …“ und enden mit der Frage: „Wie würden Sie hier vorgehen/sich verhalten?“. Wichtig ist dabei, dass die konstruierten Situationen nicht zu „leicht“ sind, d. h. dass von den Bewerbern nicht sofort das gewünschte Verhalten ersichtlich ist.
Die STAR-Methode: Ein strukturiertes Vorgehen, um die Güte der Aussagen von Bewerbern einschätzen zu können
Die biographischen bzw. situativen Fragen sind jedoch häufig nur die Einstiegsfragen in ein konkretes Beispiel. Um die Aussagen der Bewerber hinsichtlich ihrer Güte einschätzen zu können, ist es wichtig, neben dem Verhalten auch Informationen zur Situation bzw. zum Ergebnis zu erhalten. Dieses Vorgehen, das systematisch diese drei Aspekte – das sogenannte Verhaltensdreieck – abfragt, wird STAR (situation, task, action, result)-Methode genannt. Wenn Sie z. B. einen Vertriebsmitarbeiter nach seinem größten Erfolg fragen, könnte die Antwort lauten: „Ich habe im letzten Jahr einen Umsatz von 5 Mio. € erzielt“. Diese Zahl hört sich zunächst einmal hoch an, um sie aber richtig einschätzen zu können, benötigen Sie weitere Informationen. Der Teilnehmer hat Ihnen hier die Ergebnisebene angeboten, daher ist es hier angezeigt, die Situation und das Verhalten, das zu diesem Ergebnis geführt hat, zu hinterfragen. „Wie hoch war Ihr Umsatzziel?“, „Wie viel Umsatz haben Ihre Kollegen gemacht?“, „Was haben Sie dafür getan, diesen Umsatz zu erreichen?“ Durch solche konkreten Nachfragen erhalten Sie diejenigen Informationen, die Sie benötigen, um die Aussagen des Bewerbers einschätzen zu können.
Typische Fehler in der Interviewführung
Typische Fehler in der Interviewführung betreffen häufig die Fragetechniken. Günstig ist hier der Einsatz von offenen Fragen, die sich auf die konkrete Verhaltensebene beziehen. Allerdings passiert es häufig, dass Interviewer geschlossene Fragen, Suggestivfragen oder auch Kettenfragen einsetzen. Bei Suggestivfragen leitet der Interviewer die Antwort des Bewerbers bereits in eine bestimmte Richtung. „Würden Sie bei einem bereichsübergreifenden Problem eher kooperativ zusammen arbeiten oder nur Ihre eigenen Interessen verfolgen?“ 99 % aller Bewerber würden hier antworten, dass sie selbstverständlich kooperativ zusammen arbeiten würden. Bei Kettenfragen stellt der Interviewer mehrere Fragen hintereinander. „Wie würden Sie sich in dieser Situation verhalten?“, „Wann wären Sie mit dem Ergebnis zufrieden?“, „Haben Sie so etwas ähnliches in Ihrer Vergangenheit bereits einmal erlebt?“ Der Bewerber beantwortet in diesem Fall zumeist die letzte Frage oder die für ihn einfachste Frage. Häufig werden die anderen – teilweise sehr guten Fragen – dann nicht mehr wiederholt. Weitere typische Fehler liegen z. B. darin, dass der Interviewer zu hohe eigene Redeanteile hat, Fragen stellt, die sich nicht auf das Anforderungsprofil beziehen, wertende verbale oder non-verbale Aussagen einbringt oder durch den Aufbau von Druck oder eines „Überraschungseffekts“ an das „wirkliche“ Verhalten des Bewerbers herankommen möchte. Ein anderer „Klassiker“ besteht darin, dass Bewerber auf unangenehme Fragen nicht direkt antworten, sondern andere „interessante“ Geschichten erzählen. Viele Interviewer prüfen nicht konsequent, ob die zunächst gestellte Frage eigentlich auch beantwortet wurde.
1-2-tägiges Interviewtraining mit hohem Praxisanteil und klarem Lerneffekt für die Teilnehmer
Um das Vorgehen im Interview und den Einsatz der oben beschriebenen Fragetechniken zu erlernen, empfiehlt sich ein 1-2-tägiges Interviewtraining mit den Führungskräften und HR-Mitarbeitern. Idealerweise wird hier im Vorfeld bereits ein Interviewleitfaden erarbeitet, dessen Anwendung im Rahmen des Interviewtrainings bereits eingeübt wird. Um die beschriebenen Fragetechniken zu erlernen, werden diese zunächst theoretisch vorgestellt. Anschließend schätzen die Teilnehmer anhand eines Videos ein, welche Fragen und welches Interviewerverhalten zielführend und professionell, und welches zu vermeiden ist. Der zentrale Lerneffekt gelingt jedoch nur über einen hohen Praxisanteil, indem in Kleingruppen jeder Teilnehmer in der Interviewerrolle ist und dazu ein differenziertes Feedback erhält. Ergänzend können im Rahmen des Trainings auch Informationen zu AGG-konformen Fragen oder die Anreicherungen von Interviews durch Persönlichkeitsverfahren und/oder Gesprächssimulationen thematisiert werden.