Als Interviewer die Gesprächsführung beibehalten
Kein Bewerber im Interview wird sagen: „Diese Frage möchte oder kann ich nicht beantworten.“ Wie das Unternehmen möchte er sich in einem positiven Licht darstellen und sich für die jeweilige Position bewerben. Er wird nicht sagen, dass er in diesem oder jenem Aspekt noch über wenig Erfahrung oder Kompetenzen verfügt. Die sozial erwünschte Ausweichreaktion des Bewerbers besteht darin, weiterzureden, jedoch nicht genau auf die Ausgangsfrage einzugehen. Der wenig professionelle Interviewer lässt sich durch interessante Beispiele und Anekdoten ablenken und hat vielleicht nicht den Mut nachzufragen, weil er in der Fachlichkeit des Bewerbers nicht mitkommt.
Unserer Erfahrung nach besteht hierin der häufigste Fehler in der Interviewführung: Die eigentliche Ausgangsfrage wird durch den Bewerber nicht beantwortet. Also bietet der Bewerber eine Geschichte an, die an der ursprünglichen Frage haarscharf vorbeigeht, der Interviewer fragt zu der angebotenen Geschichte nach und entfernt sich immer mehr von der Ausgangsfrage. Ergebnis: Der Bewerber hat die Gesprächsführung übernommen. Das braucht Routine und Erfahrung, im Interview zu erkennen, ob man hier auf dem Holzweg ist. Dass der Bewerber nicht genau die Frage beantwortet, ist meist schon im ersten oder zweiten Satz erkennbar. Das üben wir in vorbereiteten kurzen Rollenspielen.
Die Zeit im Interview managen
Als wir noch im Studium waren, galt für uns und unsere Kommilitonen bei mündlichen Prüfungen die Devise: So viel reden wie irgendwie möglich. Dann kommt die nächste Frage, deren Beantwortung uns in die Bredouille bringen kann, später. Außerdem: Wenn ich so viel rede wie irgendwie möglich, dann steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeine der Antworten schon passen wird. Dieses Prinzip verfolgen mehr oder weniger intuitiv viele Bewerber. Dies führt zu einer weiteren Herausforderung für den professionellen Interviewer. Wenn am Ende nur ein definierter Zeitraum für ein Interview zur Verfügung steht, fehlt bei dem redefreudigen Bewerber möglicherweise Zeit und der Interviewer gerät unter Druck.
Wenn anders herum die Interviewzeit nicht beschränkt ist und der eine Teil der Bewerber lange und ausführlich alle Nebenaspekte benennt, während der andere Teil der Bewerber präzise antwortet, dann geht dies auf Kosten der Standardisierung: Der erste Teil der Bewerber erhält mehr Chancen, den Treffer zu landen, alleine durch viele Redebeiträge. Beide Varianten sind für den professionellen Interviewer nicht befriedigend – Zeitdruck am Ende der definierten Interviewzeit oder Benachteiligung des Bewerbers, der knapp und präzise die Fragen beantwortet.
Zur aktiven Gesprächsführung gehört daher auch die Steuerung der Zeit. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass ein angemessener Zeitrahmen für eine Frage fünf Minuten bzw. für einen Block aus drei Fragen zu einer Kompetenz zehn bis 15 Minuten sind. Dies mag überraschen. In diesem Zeitraum gilt es, die Ausgangsfrage zu stellen, ggf. zu wiederholen, nach Beispielen zu fragen und diese weiter zu hinterfragen. Bei einem redefreudigen Bewerber, der möglicherweise nicht ganz bei der Ausgangsfrage bleibt, sind diese fünf Minuten sehr schnell vorbei. Daher gilt es, aktiv die Zeit zu steuern: „Mit der Bitte um die kurze Benennung einer Erfahrung/eines Beispiels“, „In Anbetracht der Zeit, können Sie kurz drei Belege/Erfahrungen/Erfolge benennen, damit wir entscheiden können, welches wir vertiefen möchten?“. Fünf Minuten pro Ausgangsfrage bedeutet, dass in einer Stunde Interviewzeit gerade einmal zwölf Fragen gestellt werden können. Allerdings ist unsere Erfahrung, dass es besser ist, sich im Interview lieber auf die wesentlichen Kompetenzen zu konzentrieren, diese mit mehreren Fragen und vertieft abzuklopfen, als oberflächlich alle Themenfelder nur zu streifen.
Geschlossene, Alternativ- und Suggestivfragen vermeiden
Die Gefahr, geschlossene und Suggestivfragen zu stellen, ergibt sich häufig aus einer guten Absicht der Interviewer. Wenn nämlich der Gesprächsverlauf zäh ist, der Interviewteilnehmer keine passenden Beispiele benennen kann oder schlicht nicht über die erwartete Erfahrung verfügt, dann steigen im mitfühlenden Interviewer Sympathie oder Mitleid auf. Er versucht, dem Interviewteilnehmer auf die Sprünge zu helfen. Das geschieht durch implizite Angebote für die Beantwortung der Frage oder das Aufzeigen von Antwortalternativen.
Die Gefahr lauert insbesondere dann, wenn der Interviewer „möchte“, dass der Bewerber richtig antwortet: Er hat Besetzungsdruck, hat aufgrund der Unterlagen schon entschieden, dass der Bewerber gut passen würde, oder möchte im Team gegenüber anderen Interviewern brillieren, weil der Bewerber in einem Potenzialinterview als „sein“ Mann oder „seine“ Frau gilt.
In unseren Interviewtrainings sehen wir oft, dass dies auch dem professionellen Interviewer passiert. Auch er ist nur ein kommunikativer oder mitfühlender Zeitgenosse. Auch dieses Feedback gibt es im Interviewtraining, um so Routine aufzubauen.
STAR-Ansatz üben
Während des Interviews gilt es, durch den Bewerber zu prüfen, ob im Sinne von STAR das Verhalten hinreichend konkret beschrieben wurde, die Ausgangssituation nachvollziehbar ist und schließlich noch das Resultat eingeschätzt werden kann, um dann durch passende Nachfragen die Lücken von STAR zu füllen. Hinzu kommt, dass der Bewerber aus der anderen Welt einer Firma oder eines Jobs berichtet, die zunächst ganz neu ist. Das alles ist auch für den Profi eine Herausforderung! Da kann es passieren, dass man spontan gar nicht einschätzen kann, ob jetzt genug Stoff geliefert wurde, um das Resultat des Verhaltensbeispiels bewerten zu können.
Zu der Bewertung der Kompetenz brauchen wir zu jeder Ausgangsfrage am Ende die Klarheit über die Ausgangssituation (ST), die Information über das in der Vergangenheit konkret gezeigte Verhalten (A) und einen Beleg oder Beweis für die Wirksamkeit des Resultats (R). Wir bitten unseren Gesprächspartner, für uns einen Film ablaufen zu lassen: Wie war die Szene ausgefüllt, wer spielte mit (ST)? Was haben Sie genau gesagt und getan (A)? Wie war dann die Wirkung (R)?
Zufall herausholen – Tiefe vs. Breite steuern
Das führt jedoch zu einer kniffligen Aufgabe. Wenn wir uns nach dem STAR-Konzept in ein Beispiel vertiefen, benötigen wir Zeit, um alle Aspekte abzufragen: Wir lassen uns die Ausgangssituation schildern, was das Ziel war, was die Person genau gemacht hat und was dabei herausgekommen ist. Teilweise braucht es mehr als eine Nachfrage. Bei dem Beispiel kann es sich aber auch um ein zufälliges Ereignis handeln, welches noch nicht ausreicht, um auf die generelle Kompetenz schließen zu können.
So entsteht dann schnell der Konflikt Tiefe versus Breite, wenn wir nur ein definiertes Zeitbudget haben. Wir wollen vielleicht ein zweites oder drittes Beispiel haben: Was machen wir: Bei dem einen Beispiel immer tiefer nachfragen oder weitere Beispiele einholen? Das bringt Herausforderungen zum Zeitmanagement für den Interviewer. Wir „challengen“ unsere Trainingsteilnehmer, in dem wir zur Erfragung eines Themas ein festes Zeitbudget vorgeben.
Dienstleistungen Obermann Consulting:
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- Moderation von Potenzialinterviews
- Training und Feedback zu Interviews für Führungskräfte und Personaler
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- Development-Center und Assessment-Center